Im Rahmen des deutsch-ukrainischen Projekts »Erinnerung bewahren« – gefördert vom Auswärtigen Amt, getragen von der Stiftung Denkmal und vom Ukrainischen Zentrum für Holcoauststudien – wurden zwischen dem 16. und dem 19. September 2019 neun Gedenk- und Informationsorte in den Gebieten Shytomyr und Winnyzja sowie eine Freiluftausstellung in Berdytschiw der Öffentlichkeit übergeben.
Während der jährlichen Gedenkzeremonie für die etwa 12.000 Opfer der größten Massenerschießung am 15. September 1941 in Berdytschiw wurde am zentralen Erinnerungszeichen der Stadt am 16. September 2019 eine Freiluftausstellung eröffnet. Sie besteht aus dreisprachigen Informationstafeln über das jüdische Leben der Stadt – bis zum Holocaust eines der größten jüdischen Kulturzentren des Russischen Reiches, seine Auslöschung und den schwierigen Weg zu einer angemessene Würdigung der ermordeten Juden. Die Biografien der Familien Vainshelboim und Burmenko stehen beispielhaft für Massenmord und Überleben in dieser Stadt. Die Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland, Anka Feldhusen, die Sonderbeauftragte für Beziehungen zu jüdischen Organisationen und Antisemitismusbekämpfung im Auswärtigen Amt, Michaela Küchler, der Botschafter des Staates Israel, Joel Lion, und der Vertreter der Botschaft der USA, Samuel Fontela, betonten in ihren Reden die Bedeutung der Erinnerung an den Holocaust und würdigten die Arbeit unseres deutsch-ukrainischen Projektes. Die Ausstellung ist in enger Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung, der jüdischen Gemeinde, dem Stadtmuseum und dem jüdischen Museum von Berdytschiw entstanden.
Im Anschluss fuhr die internationale Delegation zur Einweihung des Gedenk- und Informationsortes in Chashyn bei Berdytschiw, dem topografisch schwierigsten Projektort, und besuchte acht weitere Massenerschießungsstätten rund um die Stadt, um der insgesamt mindestens 18.000 ermordeten jüdischen Kinder, Frauen und Männer zu gedenken. Besonders eindrucksvoll waren die Beiträge von Holocaustüberlebenden – Halyna Bakmaieva, Mikhail Vainshelboim und Halyna Shuliatycka.
Die Einweihungszeremonie des Gedenk- und Informationsortes an die etwa 170 ermordeten Juden aus Baraschi und der Umgebung fand unter breiter Beteiligung der lokalen Bevölkerung am 17. September statt. Die Lehrerin der hiesigen Schule, Liliia Varvarchuk, Teilnehmerin des pädagogischen Programms des Projektes, sprach von der jüdischen Geschichte als Teil der ukrainischen Geschichte und würdigte all die Vorreiter, die sich seit Anfang der 1990er Jahre für ein Erinnerungszeichen am Ort der Ermordung der jüdischen Bevölkerung aus Baraschi eingesetzt hatten.
In Samhorodok wird die Erinnerung an die etwa 500 ermordeten Juden – darunter 240 Kinder – aus dem Ort und der Umgebung in der Gemeinde bewahrt. Am Nachmittag des 17. September wurde der Gedenkort unter reger Anteilnahme von Schülern eingeweiht. »Insgesamt wurden 1,5 Millionen jüdische Kinder, Frauen und Männer auf dem Gebiet der heutigen Ukraine zwischen 1941 und 1944 von der deutschen Besatzungsmacht erschossen. An Orten wie diesen wird der Massenmord greifbar. Wir sind sehr dankbar, dass wir zusammen mit unseren ukrainischen Partnern dieses Projekt umsetzen konnten. Dieser Ort soll Ort der Erinnerung und des würdigen Gedenkens sein. Gleichzeitig soll dieser Ort auch dazu auffordern, dass unsere beiden Völker gemeinsam für die Demokratie und die Unverletzlichkeit der Grenzen in Europa kämpfen sollten, damit sich Geschichte nie wiederholt«, so Uwe Neumärker, Direktor der Stiftung Denkmal. Schüler verlasen die Namen einiger Opfer. Ihnen ihre Namen zurückzugeben, macht das menschliche Ausmaß der Tragödie deutlich. Nach dem Kaddisch gedachten die Gäste der auf dem Jüdischen Friedhof Erschossenen, wo am selben Tag auf lokale Initiative zwei Gedenksteine aufgestellt worden waren.
Bei der Einweihungszeremonie in Tschukiw am 18. September wurden die etwa 300 ermordeten jüdischen Frauen und Männer, überwiegend aus dem rumänischen Besatzungsgebiet in der Ukraine (Transnistrien), gewürdigt. Sie starben weit von zu Hause, so dass ihr Schicksal ihren Familien unbekannt blieb, so Dorfrat Volodymyr Kalnicki. Am Rande der Veranstaltung trat einer der Gäste auf Uwe Neumärker zu, dankte ihm und seinem Team mit den Worten: »Sie erfüllen eine heilige Aufgabe.«
Anschließend fuhr die Delegation nach Lypowez. Für viele Juden sei der Holocaust mit dem Kriegsende nicht zu Ende gewesen. Mit der heutigen Einweihung der zwei Gedenkorte auf einem Feld bei Lypowez gehe aber der Holocaust für diese Opfer zu Ende, so Rabbi Herszaft vom Komitee für den Schutz jüdischer Friedhöfe in Europa in seiner Rede. Trotz des starken Windes nahmen viele Teilnehmer an der bewegenden Zeremonie teil.
Das seien unsere Nachbarn gewesen, betonten die Redner bei der Einweihungszeremonie der beiden Gedenkorte für die über 500 ermordeten jüdischen Kinder, Frauen und Männer in Wachniwka am 19. September. Sowohl die Angehörigen der Familien der Holocaustüberlebenden als auch der Familien, die ihnen geholfen haben, waren zugegen. Der neue jüdische Friedhof – ein Ort des Mordes – war über die Jahrzehnte verwildert und vergessen. Die letzte Jüdin am Ort, Taisa Slobodianiuk, hatte das Projekt auf das dortige Massengrab aufmerksam gemacht. Nunmehr sind das Gelände wieder erkennbar und der Standort der Erschießungsgrube markiert. Im Wald von Wachniwka konnte eine baufällige Gedenkanlage instandgesetzt, durch eine Gedenktafel und eine Informationsstele ergänzt werden.
Der Holocaust fand nicht nur in abgelegenen Gruben und Panzergräben, auf Feldern oder in WäIdern statt, sondern – wie in Plyskiw – mitten im Ort, zwischen Wohnhäusern, vor aller Augen, so Uwe Neumärker bei seiner Rede. In Anwesenheit von Angehörigen der Familien von Holocaustüberlebenden aus Australien (Familie Shabshis) und Israel (Familie Bosis) wurden zwei Gedenkorte eingeweiht. In seiner Rede bat der Enkelsohn einer Überlebenden aus Australien, Benjamin Needleman, im Wald vor dem Ort die Einwohner darum, die Opfer nicht zu vergessen und die Gedenkorte zu pflegen.
Mit dieser Zeremonie endeten die Einweihungen, die tief bewegenden Eindrücke jedoch halten an.
Text: Uwe Neumärker
Bild: Lipowez, 18. September 2019: Fotografin Anna Voitenko bei der Arbeit, Foto: Stiftung Denkmal