Seit fünf Jahren erinnert die Bundesrepublik Deutschland mit dem Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen »Euthanasie«-Morde an die etwa 300.000 Patienten aus Heil- und Pflegeanstalten sowie »rassisch« und sozial unerwünschte Menschen, die zwischen 1939 und 1945 im Deutschen Reich und im deutsch besetzten Europa als »lebensunwert« getötet wurden.
Mit dem deutschen Angriff auf Polen am 1. September 1939 – vor 80 Jahren – begann der Zweite Weltkrieg. Zwei Monate darauf erließ Adolf Hitler eine Anordnung zur Ausrottung »lebensunwerten Lebens«, die auf den 1. September zurückdatiert wurde. Bereits in Polen wurden 1939/40 Tausende Patienten erschossen oder vergast. Ab Anfang 1940 begann der Massenmord auch im Deutschen Reich. Die Planungs- und Verwaltungszentrale des »Euthanasie«-Programms befand sich ab April 1940 in der Tiergartenstraße 4. Hier organisierten Ärzte und Verwaltungspersonal die Erfassung und Selektion der Patienten sowie deren Transport in sechs eigens dafür eingerichtete Gasmordanstalten im Deutschen Reich.
Bis August 1941 töteten Ärzte dort über 70.000 Menschen, bis 1945 wurden weitere 90.000 durch Nahrungsentzug, Vernachlässigung und die Gabe von Medikamenten umgebracht. Im besetzten Polen und in der eroberten Sowjetunion mordeten SS-Einheiten zahlreiche Krankenhäuser leer. Die sogenannte Euthanasie war das erste systematische Massenverbrechen des nationalsozialistischen Regimes. Sie gilt als Vorstufe zur Vernichtung der europäischen Juden.
PROGRAMM 30. AUGUST 2019
10 Uhr bis 11.30 Uhr
Gedenkstunde im Foyer der Philharmonie, Herbert-von-Karajan-Straße 1, 10785 Berlin
GEDENKSTUNDE
Grußworte
Dr. Klaus Lederer, Senator für Kultur und Europa, Bürgermeister von Berlin
Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen
Sigrid Falkenstein, Angehörige
Rede
Prof. Dr. Michael von Cranach,Mediziner, Psychiater und Autor
Musik
Utopia Orchester
Im Anschluss besteht die Möglichkeit, Blumen und Kränze niederzulegen.
FOREN
11.45 Uhr bis 12.45 Uhr
Verschiedene Foyerbereiche der Philharmonie, Herbert-von-Karajan-Straße 1, 10785 Berlin
BLOCK 1 · 11.45 Uhr bis 12.45 Uhr
Forum 1 – Menschen mit Lernschwierigkeiten stellen ihre Arbeit in der Gedenkstätte für die Opfer der »Euthanasie«-Morde in Brandenburg an der Havel vor
Forum 2* – Prof. Dr. Uwe Kaminsky: Zur Popularisierung von Eugenik und »Euthanasie« in der Weimarer Republik und NS-Zeit
Forum 3 – Robert Parzer: Die Morde an Patienten im besetzten Polen. Der Beginn von »Euthanasie« und Holocaust
MITTAGSPAUSE · 12.45 Uhr bis 13.30 Uhr
BLOCK 2 · 13.30 Uhr bis 14.15 Uhr
Forum 4 – Sigrid Falkenstein liest aus ihrem Buch »Annas Spuren« in Einfacher Sprache
Forum 5* – Uwe Hauck: Formen der Selbsthilfe gegen Ausgrenzung und Stigmatisierung durch den Gesetzgeber
Forum 6 – Dr. Harald Jenner: Meseritz-Obrawalde… die unbekannte Anstalt
PAUSE · 14.15 Uhr bis 14.45 Uhr
BLOCK 3 · 14.45 Uhr bis 15.30 Uhr
Forum 7* – Christine Wüstefeld: Demokratie leben – Prozessmodell gegen Rechtsradikalismus
Forum 8 – Filmischer Zusammenschnitt eines Interviews mit dem Zeitzeugen F. Zawrel
* Die Foren 2, 5 und 7 bauen aufeinander auf. Sie sind Beiträge, des Kontaktgespräches der Psychiatriefachverbände im Rahmen des Gedenkens zum fünfjährigen Bestehen des Gedenkortes für »Euthanasie«-Opfer, des achten Symposiums »Gegen das Vergessen …«
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SYMPOSIUM »GEGEN DAS VERGESSEN – AUS DER GESCHICHTE LERNEN«
Themen in den Foren 2, 5 und 7
Nationalistische und ausgrenzende politische Strömungen und darauf bauende Entwicklungen auf nationaler wie internationaler Ebene bedürfen unserer Aufmerksamkeit. Es ist eine historische Linie zu ziehen von diesem aktuellen Geschehen hin zu den Entwicklungen in der Weimarer Zeit, dem Vorabend des Nationalsozialismus und während der NS-Zeit selbst. Wir müssen uns den Herausforderungen wieder auflebender rechter, rechtsradikaler und populistischer Strömungen stellen und beispielsweise eine Politik der Gegenwehr bedenken und entwickeln.
Verschiedene Phänomene wie etwa das Auftreten der AFD aber auch die erschreckende Normalisierung des entwertenden und menschenverachtenden Populismus in verschiedensten Ländern wie zum Beispiel in den USA, der Türkei, in Ungarn, Österreich etc. fordern uns heraus.
Die drohenden, schleichenden Veränderungen von Haltungen hin zur Normalisierung der Abwertung von Minderheiten (Homosexuelle, Behinderte, Langzeitarbeitslose, Wohnungslose, Migrant*innen etc.) verlangen sowohl theoretisch wie praktisch konkrete Antworten und Lösungswege.
Welche Verteidigungsstrategien müssen wir entwickeln, um die liberal demokratische Gesellschaft und das Engagement für mehr soziale Gerechtigkeit, für aktive, gelebte Toleranz und Zusammenhalt zukünftig sicherzustellen?
Fragen in den Foren 2, 5, und 7
Im Detail ist zu fragen, welche wirksamen Antworten wir gegen diese populistischen Strömungen finden, die durch Individualisierungsprozesse, durch Verlustängste, Unsicherheiten und Irritationen über die verunsichernden internationalen Entwicklungen in der Wahrnehmung der Menschen verfangen. Wie ist dem Verhalten, dass sich in Rückzug, Abschottung, Angst vor Fremden, Unbekanntem und Neuem zeigt, zu begegnen? Ist den sich so bedroht fühlenden Menschen durch Hinwendung und Aufklärung Beachtung zu schenken und sie so vor dem ideologischen Zugriff der neuen Rattenfänger in feinem Gewand und ihren Simplifizierungen zu schützen?
Die international globalisierte wie auch nationale Lage kann in ihrer Unübersichtlichkeit von vielen Menschen nur schwer ertragen werden, überfordert sie teilweise und ermöglicht in Verbindung mit weiteren Faktoren einen Nährboden für Populisten.
Das Symposium stellt die Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart in den Mittelpunkt: Ob und wie entstand der Populismus in der Weimarer Zeit und konnte sich entwickeln und dabei als fruchtbarer Nährboden und Grundlage für
die Durch- und Umsetzung der Propagandastrategien der Nationalsozialisten dienen? Um keine unzulässigen Rückschlüsse zu ziehen, muss auch hier die Frage beantwortet werden: Was war ähnlich, was war aber auch deutlich anders im Vergleich zur heutigen Situation? Die Suche nach Antworten auf diese Fragen ist eine Gratwanderung: Einerseits die oben genannten Phänomene inadäquat und überzogen wahrzunehmen und somit auch in der Reaktionsweise unangemessen zu sein und sich der Unsachlichkeit preiszugeben, andererseits zu verharmlosen und sich einem verfehlten Optimismus hinzugeben und die Situation kleinzureden in der Hoffnung, dass der Spuk sich selbst auflöst.
Die theoretische Befassung mit dem was wahrzunehmen ist und daraus demokratische Handlungsmöglichkeiten abzuleiten ist die alltägliche Herausforderung für jeden Einzelnen. Fragen die zu beantworten sind:
Was können wir tun? Was kann jeder von uns tun, sachlich und rational, aber auch mit Leidenschaft und Entschlossenheit? Welche Antworten und Wege können wir gemeinsam erarbeiten, um eine breit getragene Gegenbewegung auf den Weg zu bringen?
VERANSTALTUNGSORTE
Foyer der Philharmonie, Herbert-von-Karajan-Straße 1, 10785 Berlin
Gedenk- und Informationsort für die Opfer der nationalsozialistischen »Euthanasie«-Morde Tiergartenstraße 4, 10785 Berlin
INFORMATIONEN UND ANMELDUNG
Informationen
- Der Einlass beginnt um 9.30 Uhr.
- Für die Veranstaltung wird eine Übersetzung in Gebärdensprache und in Leichter Sprache angeboten.
- Die Anerkennung als Bildungsurlaub ist beantragt.
- Durch Ihre Anwesenheit bei der Veranstaltung stimmen Sie zu, dass die dort entstandenen Fotos für Zwecke der Öffentlichkeitsarbeit verwendet werden dürfen.
- Teilen Sie uns gegebenenfalls Ihren Unterstützungsbedarf mit, damit wir im Vorfeld darauf hinwirken können, mögliche Barrieren zu vermeiden.
Anmeldung
Bitte teilen Sie uns bis 27. August 2019 mit, ob Sie an der Veranstaltung teilnehmen werden und an welchen Foren Sie teilnehmen werden.
Tel.: +49 (0)30 / 26 39 43 11
Fax: +49 (0)30 / 26 39 43 20
E-Mail: veranstaltungen@stiftung-denkmal.de